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Qualitätsstandard 5: Vier-Augen-Prinzip

Ursula Gut-Sulzer, Managing-Partnerin, Vicario Consulting SA

Im Assessment werden KandidatInnen durch mindestens zwei BeobachterInnen evaluiert. Dieses Prinzip reduziert die Risiken von Wahrnehmungsfiltern und optimiert die Kombination von Fachkompetenz und Intuition. Vier Augen sehen mehr und besser.

Hat sich die Forschung in den letzten Jahrzehnten auf Wahrnehmungsverzerrungen konzentriert, also auf jene Aspekte, die unsere objektive Einschätzung anderer Personen einschränken, so zeigen neue Erkenntnisse auch das unglaubliche Potenzial unseres Bauchgefühls. Nur gerade fünf Prozent unserer Hirnaktivität findet im Cortex statt, also dort, wo wir bewusst wahrnehmen und analysieren. Unser limbisches System hingegen löst Reflexe, Gefühle und automatisierte Reaktionen aus, dank welcher wir Menschen und Situationen effizient erfassen können.

AssessorInnen müssen ihre Aufmerksamkeit auf klare Beobachtungskriterien ausrichten, um zu registrieren, ob KandidatInnen sich wie erwünscht verhalten. Von standardisierten Tests und Online-Tools unterscheiden sie sich aber, weil sie auch intuitiv wahrnehmen, ob das Verhalten authentisch
und stimmig ist. Die unzähligen möglichen Abweichungen können sie zudem einordnen, und so der Individualität der KandidatInnen gerechter werden.

Bedingung ist allerdings, dass die Intuition auf genügend Erfahrung beruht und kritisch hinterfragt wird. Fachkompetenz heisst deshalb für AssessorInnen unter anderem, dass sie um die Risiken von Verzerrungen wissen, ihre eigenen Filter gut kennen und entsprechend achtsam sind. Bedingung ist auch, dass die AssessorInnen genügend Zeit haben, um Distanz zu nehmen und ihre Beobachtungen auszutauschen: Diese leichte Irritation, habe nur ich die? Kann ich sie an etwas Konkretem festmachen? War es der etwas ausweichende Blick, die ungeduldige Handbewegung, die zu schnelle Antwort? Oder hat mich die Person nur gerade an jemanden erinnert oder einen wunden Punkt bei mir selber getroffen? Und diese unterschwellige Begeisterung – unterliege ich gerade dem Halo-Effekt oder der natürlichen Tendenz, meinesgleichen zu bevorzugen?

Für qualitativ hochstehende Assessments braucht es deshalb achtsame, selbstreflektierte und versierte AssessorInnen mit unterschiedlichem Erfahrungshintergrund sowie die nötige Zeit für eine kritische Konfrontation der Beobachtungen und Wahrnehmungen unter vier Augen.

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